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Montag, 4. Juni 2012

No Bull***it Survivalkit

Um eine abgedroschene Phrase zu bemühen: Die Geschichte der SurvivalKits ist eine Geschichte voller Missverständnisse! Vor allem aber eine der Mythen, Legenden und Dogmen. Ein gutes Beispiel ist das Schreibzeug, dass jedem kommerziellen Kit beiliegt: Sind wir mal ehrlich, ein Set das uns alles, was wir für unser Testament benötigen, bietet - wirkt wenig lebensbejahend und motivierend, oder?


Zuerst vielleicht etwas Grundlagenforschung: Was ist Survival denn? Viele verbinden mit dem Begriff den Flugzeugabsturz auf einer Pazifikinsel, auf der u.U. sogar noch Überlebende der kaiserlich-japanischen Armee tummeln, die nicht wissen dass der WK2 längst vorbei ist. Tatsache ist aber, das der Begriff einfach in ein Dogma ala “Rambo alleine im Wald” gepresst wurde. Der Hintergedanke des Szenewortes “Survival” ist, das meistern einer unvorhergesehenen, meist unangenehmen, Situation auf bestmögliche Weise. In den USA kommen die “Surviver” immer mehr von dem Begriff “Überleben” weg, hin zu “auf sich selbst gestellt sein” und “Vorausplanung” (“self reliance and prepping”), was es um Welten besser beschreibt! 

Wie definiert sich eine “Überlebensituation” denn nun? Das Schema ist sehr einfach: 
Man geht einer Tätigkeit nach >> Es geschieht etwas unerwartetes >> Man muss die Lage meistern, um wieder bei der alten Tätigkeit anknüpfen zu können. 
Beispiel: Reiturlaub im Schwarzwald >> Pferd scheut, man stürzt, verstaucht sich den Knöchel >> Man verbindet den Knöchel, kühlt die Schwellung, sucht die nächste Straße, lässt sich ins Krankenhaus fahren >> Wiederaufnahme des Urlaubes 

Wichtigste Basis für Planungen: Die “Dreierregel”, sie besagt, dass ein Mensch grob für 3 Minuten ohne Luft, 3 Stunden ohne Schutz vor Kälte / Hitze, 3 Tage ohne Wasser und 3 Wochen Wochen ohne Nahrung auskommen kann. Die Rechnung geht von einem trainierten, gesunden Mensch aus, um Puffer zu haben schraube ich das für den folgenden Artikel etwas runter. Es ergeben sich drei Eskalationstufen, für die wir Ausrüstung planen werden: 
- Unmittelbare (bis 2 Stunden) 
- Kurzfristige (2 Stunden bis zu 3 Tage) 
- Langfristige (3 Tage bis zu 2 Wochen und darüber hinaus) 

Grob gesagt kann man das in einem Satz wie folgt zusammenfassen: Wer es sicher aus einer Situation geschafft hat und für den Rest des Tages sicher ist, sollte abschätzen ob er binnen 2 Tagen aus der Situation raus kommt, oder sich nach Wasser umsehen und, so es sich abzeichnet, dass es ein längerer Aufenthalt wird, auch um Essen kümmern muss. Die Ausrüstung sollte mit Hinblick auf die zu erwartende Situation ausgewählt werden. Ein Buschmesser ist in der Sahara sinnlos, ein Leatherman am Amazonas ein lächerlicher Zahnstocher und ein feststehendes Messer über 12cm Klinge in der BRD nicht nur rechtlich problematisch, sondern auch unnötig! 
Das wichtigste Werkzeug ist die Taschenlampe, denn nichts ist peinlicher, als Petrus erklären zu müssen, dass man den Unfall im Schwarzwald zwar überlebt hat, aber dann im Dunkeln über die Klippen des Feldberges gestürzt ist! Danach kommt der Kompass, denn wir erinnern uns: Wir wollen raus aus der Natur! Und da ist der schnellste Weg (ohne im Kreis laufen) der beste! An dritter Stelle kommt dann das Messer. Und danach der Rest, der sich am Bedarf orientiert. 

Je nach (zu erwartender) Situation muss der Survivalkit gestrickt sein. Als Faustregel kann man sagen, dass je länger die Situation anhält, desto weniger Fertiglösungen werden benötigt und desto mehr Hilfsmittel für selbst erstellte Lösungen werden gebraucht. 
Beispiel: Unmittelbar reicht mir ein Regencape, kurzfristig schlafe ich unter einem Tarp aber langfristig brauche ich ein Beil für eine feste Unterkunft. 
Daraus folgt, mit jeder Eskalationsstufe bewegt sich der Fokus des Inhaltes weg von Ausrüstung hin zu Werkzeug. Ein Set muss immer folgende Punkte abdecken: 
- Orientierung 
- Werkzeug 
- Schutz
- Wasser 
- Wundversorgung 

Und dies lässt uns nun konkret zur Zusammenstellung unserer Kits kommen: 

Kit für unmittelbare Eskalation 
Unmittelbare Situationen sind zwar nur von kurzer Dauer, können aber trotzdem an die Substanz gehen und die schönste Tour fehlschlagen lassen. Typische Beispiele sind vergessene Ausrüstung, Wetterwechsel, Verletzungen und Defekte. Das hier ist die Basis, auf die alle Sets aufbauen. Die anderen Sets sind auf einander aufbauend, können aber auch individuell genutzt werden, dieser Kit sollte immer dabei sein. Was folgt ist, was jederzeit am Mann sein sollte: 
  • Kleiner “da ist Norden” Kompass, LED Lampe mit Schlaufe (z.b. mit Karabiner an der Hose getragen. 
  • Stabiles kleines Messer (Leatherman, SAK, etc) 
  • Feuerstahl & Zunder (Wachsgetränkter Tampon) 
  • Pfeife 
  • Rettungsdecke 
  • Wundversorgung: Kleiner Erste Hilfe Set, Schmerzmittel, Allergiepass, Zeckenzange/Pinzette,  Alkopads 
  • Funktionsfähiges Mobiltelefon mit gutem, voll geladenen Akku, idealerweise mit GPS und Möglichkeit per eMail die Position zu versenden. 


Kit für kurzfristige Eskalation 
Diese Eskalationsstufe ist die häufigst Anzutreffende und zugleich die, die alle kommerziellen Survivalkits bedienen (wollen). Sie deckt die “Klassiker” der Worst-Case Szenarios ab: Verletzung, Orientierungslosigkeit, Unfall / Ausfall des KFZ. Hilfe / die Lösung ist meist greifbar, man muss aber Zeit überbrücken oder Probleme lösen, die der Lösung im Wege stehen. Oft ist man auf Hilfe von Außerhalb angewiesen. 
Die Basis ist hier: 
  • Zwei Rettungsdecken, 2x3m Malerplane, 10m Nylonschnur 
  • Stirnlampe, Ersatzbatterien, Kompass mit Peilfunktion 
  • Feuerstahl, Wachszunder, Einwegfeuerzeug 
  • Metallbecher (z.b. von Schweiz. Feldfasche), Plastiklöffel 
  • Feststehendes Messer, Fallschirmschnur, Bindedraht, Heissklebestift, 8 Nägel 10cm, Sicherheitsnadeln, Schleifstein/Abziehstein 
  • Fliegersichtzeichen (1x1m leuchtrot, PVC), Distress Marker (Leuchtsignal), evtl Notfackel 
  • 8 Brühwürfel, 4 Beutel Reis, Kamilletee, Zucker (evtl Honigportionen von McD) 
  • Desinfektionmittel, Verbandspäckchen BW, Dreiecktuch, Fenistil, entzündunghemmende Pastillen, Kamistad Gel, Schmerzmittel (vom Hausarzt beraten lassen), Immodium Akut, Coffein Tabletten (Wechselwirkung beachten), Ballistolöl 
  • Wasserfilter (oder mindestens Mikropurtabletten oder Romintropfen), faltbare Wasserflasche. 
Kit für langfristige Eskalation 
Ein solches Set ist selten benötigt, soll aber der Vollständigkeit halber behandelt werden. Es ist eher auf Regionen der Welt ausgerichtet, die weitläufiger und weniger dicht besiedelt sind (Amerika, Zentralasien, Afrika, etc) oder auf berechenbare Situationen (Flucht, Ausweichen, Katastrophen). Der Set sollte folgendes beinhalten und baut auf dem Set für kurzfristige Eskalation auf. 
  • Schlafsack bis -10°C (Kunstfaser oder gute Daune), 2x dickesTarp 3x3m, Isomatte PU Schaum 
  • Rucksack, 60L, mit Gestell (Alice Pack)
  • Nässeschutzkleidung, warme Jacke (Kunstfaser oder Schurwolle), Wollmütze, Ersatzsocken, Thermohandschuhe 
  • Axt und Säge, kleiner Hobel, Klappspaten (Lawinenschaufel ab Oktober), Arbeitshandschuhe 
  • Kochgeschirr, Löffel, Pfanne, Wasserflaschen 
  • Reis, Nudeln, Milchpulver, gekörnte Brühe, Trockenfleisch, Dosenbrot, Marmelade, Käse, BP5, Panzerkekse 
  • 50m Nylonschnur, 15m Seil (500kg), Nägel, Draht, 20m Isolierband 
  • Verbandsmaterial, Gipsbinden, Stützverband, Breitenspektrum Antibiotika (man bedenke die Zielanwendung!), Medikamente aus dem Vorgängerset in ausreichender Menge. Vitamintabletten (Vitamin C, Magnesium) 
  • Dynamolampe, Solarpanel, Kerzen, Akkus mit Solarladegerät, Cyalume Leuchtstäbe 
  • Wasserfilter mit Ersatzelementen 
  • Kompass, Karte des Gebietes (GPS mit Batterien) 
Die Benennung der Einzelkomponenten habe ich bewusst unterlassen, da ich auch eine Nachdenken anstossen möchte über die Beschaffung der Teile und eigene Präferenzen. 

Generell gilt: Wer sich auf eine Tour gewissenhaft vorbereitet, seine Route hinterlässt, andere über sein Vorhaben unterrichtet, seinen Verstand gebraucht und nicht Cowboy spielt, wird die gröbsten gefahren schon mal umschifft haben. Wem das zu "Weicheimässig" ist, dem wird auch ein RayMears für die Hosentasche nicht helfen können!

2 Kommentare:

  1. Käse und Marmelade in welcher (Verpackungs-)Form?

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  2. Danke für die interessante Zusammenfassung!
    Was die Langzeit Ausrüstung betrifft eine Frage: Welches Solarpanel kannst Du empfehlen?

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